Einmal mehr erleben wir, wie politische Symbolik auf dem Feld der parlamentarischen Auseinandersetzung zu einer Waffe wird. Die Abgeordneten der Grünen und der Linken entschieden sich, in Regenbogenfarben im Bundestag zu erscheinen – explizit als Protest gegen das Verbot der Regenbogenflagge auf dem Dach des Hohen Hauses und gegen die Einschränkung politischer Teilnahme an CSD-Veranstaltungen unter dem Mantel staatlicher Neutralität. Man möchte ein „klares Zeichen“ gegen Hassverbrechen setzen, heißt es, und im Windschatten wird auch auf kommunaler Ebene der Ruf nach Solidarität und Demonstration laut.
Doch in dieser Entwicklung offenbart sich ein Missverständnis über die Aufgabe des liberalen Staates sowie die Gefahr, politische Institutionen in ständig agitatorische Bühnen zu verwandeln. Das Prinzip der staatlichen beziehungsweise institutionellen Neutralität ist kein seelenloser Formalismus, sondern Ausdruck der Einsicht, dass der Staat – und insbesondere das Parlament als Ganzes – über den Partikularinteressen und moralischen Moden der jeweiligen Zeit zu stehen hat. Sobald öffentliche Institutionen beginnen, für spezifische gesellschaftliche Ziele Partei zu ergreifen, zerstören sie ihren eigenen Charakter als Garant von Ordnung, Freiheit und offener Debatte. Nicht jede Form der Enthaltung gegenüber tagesaktuellen Begehrlichkeiten ist bereits Spalier für „Demokratiefeinde“ – im Gegenteil: Die größte Gefahr für eine liberale Gesellschaft ist, wenn alle Akteure ihren jeweiligen moralischen Impuls für einen Anspruch auf öffentliche Symbolpolitik und institutionelle Überhöhung halten.
Ich maße mir nicht an zu leugnen, dass Hassverbrechen gegen sexuelle Minderheiten Unrecht sind und gesellschaftlich geächtet gehören. Doch der Weg dahin führt nicht über einen permanenten Ausnahmezustand im Zeichen wechselnder Identitätszeichen auf öffentlichen Gebäuden, sondern über den Schutz individueller Freiheit durch ein klares, unparteiisches Rechtsstaatsverständnis. Der Versuch, Neutralität als Schulterschluss mit den Feinden der Demokratie zu delegitimieren, gleicht einer durchsichtigen Moralisierung, die am Ende gerade jene Diversität gefährdet, die sie zu verteidigen vorgibt – denn die Vielfalt der Gesellschaft kann nur dann gedeihen, wenn die Institutionen selbst nicht in parteiliche Farben getaucht werden.
Lassen wir uns also nicht täuschen von der vermeintlichen Klarheit des Symbols – es ist gerade der Respekt vor einer unpolitischen, neutralen Ordnung, der uns die individuelle Vielfalt ermöglicht. Wer das Parlament oder andere staatliche Institutionen in eine dauerhafte Kampffront für eigene Überzeugungen verwandeln will, ruiniert jene freie Ordnung, die er zu schützen vorgibt.